„Ich hier arbeiten – you are on vacanza!“ so begrüßt uns Oskar, der Schleusenwärter, und legt unsere Festmacher um die Poller. Der darauf folgende nette Plausch von Spundwand zu Boot gestaltet den Schleus-Vorgang deutlich länger, bis die übrigen Crews der anderen Boote doch merklich unruhig werden, die Schleusentore sich öffnen, und schließlich alle weiterfahren können – hinaus in die Lagune von Venedig.
Die Er-Fahrung der Langsamkeit
Hausboottrip in Venedig
Galerie
Incentive-Idee und Teamtraing: Die Er-Fahrung der Langsamkeit
Die Schleuse von Pontegrandi trennt das Flussrevier des Sile vom gezeitenabhängigen Brackwasserrevier der Lagune von Venedig, und schließlich von der Adria. Etwa vier Bootsstunden flussauf liegt die Charterbasis, an der wir unsere „Caprice“, ein 12 Meter langes modernes führerscheinfreies Hausboot, nach nur kurzem, aber intensivem Eincheck übernehmen und zu unserem einwöchigen Törn aufbrechen.
Der 30 PS-Diesel schiebt uns mit maximal 11 Stundenkilometern – Seemeilen-Angaben sind in diesem Binnengewässer nicht gefragt – talwärts. Am Ufer stehen schmucke venezianische Villen hinter Vorhängen von Trauerweide und Uferschilf. Gelegentlich kreuzen Enten unseren Weg, probieren, ob es noch knapp vor unserem Bug klappt mit dem Passieren, fliegen aber dann doch einige Meter weiter, um uns nicht zu nahe zu kommen. Eine Schwanenfamilie lässt sich von Spaziergängern füttern und Herr Schwan faucht die Kinder achtungseinflößend an, wenn sie zu nahe an seinen Nachwuchs geraten. Nur selten verscheucht uns ein entgegenkommendes Boot aus der Flussmitte, aber gelegentlich werden wir von einem Sportboot, das die vorgeschriebenen 7 Stundenkilometer Geschwindigkeit maßlos ignoriert, überholt und von seiner Bugwelle geschüttelt. Sonst fahren wir ruhig unseren Kurs. Auch die Crew ist still, still geworden – verstummt durch die neue Er-Fahrung, die das Hausboot ihr aufzeigt: Die Kraft des Erlebens liegt in der Langsamkeit! Nicht Schneller-höher-weiter sind hier angezeigt, sondern die intensiven Eindrücke, die genau diese Trägheit des Fortkommens signalisiert. Das Auge hat Zeit, sich in die Details am Weg zu verlieren, der Mensch er-fährt den Fluss so, wie er ist: Behäbig, aber trotzdem immer in Bewegung. Zu vergleichen ist diese Erfahrung der Langsamkeit mit einem Segeltörn auf offener See, wenn dann, ganz behutsam, eine erste Ahnung von einer Insel sich aus dem Dunst schält, wenn dann gemächlich die ersten Konturen erkennbar werden, nach und nach und mehr und mehr, bis schließlich die gesamte Landmasse samt Details unmittelbar vor dem Bug aufragt: Eine Insel langsam er-fahren, statt mit dem Flugzeug abrupt dort ankommen und einfach da sein – den Luxus der Langsamkeit genießen. Entschleunigung, um auch das angesagte Modewort noch einzuwerfen, ist die Devise. Durch die Lagune wandern, statt PS-strotzend hindurch zu brausen. Sich auf das Slow-Down außen und innen einlassen und die Erholung beginnt.
Das Rasen indes erledigen schon die Bewohner der Region: Mit ihren Motorbooten brettern sie jenseits aller ausgezeichneten Geschwindigkeitsbegrenzungen mit ordentlichem Wellenschlag – Eile ist in der Businesswelt geboten, bis die bebootete Polizia der Lagune die Kelle raushält und für das Rasen zur Kasse bittet. Auch Radargeräte und Polizeikontrollen gibt es entlang der Wasserstraßen! Weil alle anderen Boote durchwegs schneller unterwegs sind als das Hausboot, und diese somit deutlich schneller als die in den verschiedenen Kanälen vorgeschriebenen 5, 7, 11, 14 oder manchmal sogar 20 Km/h brausen, ist mit einer Radarkontrolle für uns „Boatpeople“ nicht wirklich zu rechnen.
Zurück zur Fahrt auf dem Fluss Sile, der eindeutig den Weg von der Charterbasis im Städtchen Casier zur Lagune von Venedig weist. Abends um acht im Dorf „Casale sul Sile“: Hier liegt das Boot am kostenlosen Gemeindeanleger und die Crew ist auf Landgang. Die Läden haben schon geschlossen, aber beim Gemüsehändler sind noch Leute drin. Vorsichtig an die Ladentür gedrückt – sie öffnet sich – Frage: “Aperto?“ Und natürlich ist auch nach Ladenschluss noch geöffnet. Wir können Obst und Gemüse aussuchen. Nach dem Einkauf werden wir durch die Seitentüre freundlich zurück auf die Straße komplimentiert – „Polizia ... capisco...?!“ ... a bisserl was geht also immer noch. Gleich darauf rennt der Besitzer eilig hinter uns her: „Scusi!“ – „Entschuldigung!“ ruft er und drückt dem verdutzten Skipper 3 Euro 18 in die Hand: das versehentlich zu wenig zurückgegebene Wechselgeld... Wir hätten es gar nicht bemerkt. So sind sie halt, die Italiener.
Es lohnt sich, beim abendlichen Landgang auf der Suche nach einer Taverne nicht gleich in das nächstbeste Lokal einzufallen, sondern den Abendspaziergang bis in die zweite oder gar dritte Häuserreihe, weg von Flaniermeilen und Yachthäfen, auszudehnen. Hierbei werden die an Bord so untätigen Beine gelockert. Wenn man Glück hat, lugt nach einer Biegung, geduckt unter hohen Bäumen und beschattet von hochrankenden Weinreben, ein Haus hervor, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einem gastronomischen Betrieb aufweist. Auch beim Näherkommen kein Hinweis: Kein Schild und keine Tische auf der Gasse. Erst innen drin entpuppt sich der Raum als gemütlicher Schankraum, in dessen hinterem Teil im so wichtigen Pizzaofen schon das Feuer brennt, bereit für uns. Im „La Tana dei Golosi“ bedient Mamma und ihr Ehemann kommt persönlich aus seiner Küche zum Tisch, berät bei der Essenswahl und nimmt die Bestellung auf. Dann beginnt er für uns sehr lecker zu kochen. Die Rechnung fällt trotz einigem „Vino rosso de la Casa“ human aus – eine empfehlenswerte Adresse in Casale sul Sile, unserem ersten Übernachtungsstopp nach nur einstündiger Eingewöhnungsfahrt. Hier liegt man längsseits, mit dem Bug flussaufwärts, am Anleger. Das nächste Restaurant ist gleich gegenüber. In bequemer Geh-Reichweite gibt es Geschäfte, Eisdiele, und „unsere“ Taverne.
„Le Boat“, unsere Charterfirma, verfügt im gesamten Revier über eine Reihe von privaten Anlegemöglichkeiten – nur für die eigenen Boote. Eine dieser Dalbenreihen zum Anlegen liegt am Südufer des Inselchens Mazzorbo. Sie ist die nördliche Nachbarinsel von Burano und der nächste Stopp zum Übernachten nach einem ersten geruhsamen Trip im betonnten Fahrwasser zwischen den Salzwiesen der nördlichen Lagune. Auf ihr befinden sich viele Wohnungen der Einheimischen und die ruhigen Liegeplätze – wenn da nicht die Moskitos wären, die pünktlich zum Sonnenuntergang mitsamt ihren Großfamilien sirrend die arglosen Schiffer heimsuchen. Der Überfall, der sich leider täglich zur selben Stunde wiederholt, dauert glücklicherweise nur etwa eine halbe Stunde. Danach herrscht wieder weitgehend mückenfreie Luft – sei es, dass die Horden schlafen gegangen sind, sei es wegen unseres Spray-Einsatzes zur Verteidigung. Auch die Nacht verläuft ohne weitere Moskitoflüge. Zuvor kämpft der Skipper (wer denn sonst...!) verbissen und langwierig, sitzend auf der Hafenmauer, um dem mitgebrachten kleinen Grill eine ordentlich heiße Glut zu entlocken, damit Koteletts und Auberginen schön auf dem Rost schmurgeln können. Dazu werden Salate und Vino Rosso gereicht, bis sich der Vollmond hinter dem schiefen Campanile von Burano in den Nachthimmel schiebt – diesmal in kitschigem orange – sehr zur Freude des Skippers, denn die Bordfrau wird bei diesem einzigartigen Anblick sehr romantisch und anschmiegsam.
Morgens um acht. Auf der Insel Burano ticken die Uhren seit jeher anders: Langsamer. Als der Skipper im kleinen Supermarket an der Kasse steht und versucht, mit seinen wenigen italienischen Sprachbrocken zu brillieren, freut sich die Kassiererin so sehr, dass der auf gebrochenem Englisch und mit ausladend italienischer Gestik geführte Plausch zwischen Kunde und Kasse erst durch den nächsten zahlwilligen Kunden mit den besten Wünschen für einen geruhsamen Törn beendet wird. So sind sie auch, die Italiener.
Burano besticht durch die quietschbunten Fassaden der Häuser, vor denen ab und an die älteren Frauen sitzen und die feinen Häkelarbeiten herstellen, für die die Insulaner so berühmt sind. Wegen Farbenfrohsinn und Handarbeit lassen sich tagsüber – und besonders am Wochenende – die Touristen vom Vaporetto, der „Wasser-Straßenbahn“, also dem öffentlichen Nahverkehrsmittel, von allen Seiten herüberfahren. Gegen Abend hingegen fällt das Eiland in seine müßige Lethargie zurück. Dann sitzen die Einheimischen auf den Terrassen der Cafés, Pizzerien und Trattorias entlang der Kanäle zum Entschleunigen vom Tagestrubel. Dann haben die wenigen Yachties und die Einheimischen die Insel wieder ganz für sich.
In einem wirklich abgeschiedenen Teil der Lagune taucht die kleine Klosterinsel „Isola del Deserto“ an Backbord auf. Heute, am Montag, öffnen die Klosterbrüder die Pforten von Kirchen und Klosteranlage nicht. Somit landen auch keine Touristendampfer ihre menschliche Fracht an und Zufahrtskanal und Eiland verdösen diesen sonnigen Tag in Einsamkeit.
Die Insel Certosa ist das nächste Etappenziel, denn dort wohnt und arbeitet ein alter Bekannter des Skippers: Mathias Lühmann, der einzige nicht-venezianische Bootsbauer, der bislang eine orginale Gondel (als sein Meisterstück) gebaut hat. Sie wurde dann verkauft und ist in Venedig im Einsatz. Darauf kann er wirklich stolz sein! Sein Arbeitgeber, die Firma „Vento di Venezia“ bewirtschaftet inzwischen die gesamte Insel Certosa samt auf Holzboote spezialisierter Werft, Konstruktionsbüro, Restaurant, mittelalterlicher Klosterruine und einer kleinen und ruhigen Marina mit 100 Liegeplätzen, die Alberto Sonino als Hafenmeister verwaltet. Gleich daneben bringt die Vaporetto-Station die Crew in die Stadt Venedig zum Sightseeing.
Baden vom Boot aus wäre ja besonders an heißen Sommertagen angesagt – sogar mehrmals täglich! Aber die Brackwasser in der Lagune konnten doch nicht zum Sprung ins Trübe verleiten, außer: Wenn man sich in der Nähe der drei seeseitigen Zufahrten zur Lagune aufhält und wenn die Tide frisches Adriawasser mit bis zu 2 Knoten Strom in das Revier presst – dann ist ein ausgiebiges Bad im frischen Meerwasser eine Wohltat. Immerhin beträgt der Tidenhub in der Springzeit, also etwa bei Vollmond, bis zu gut einem halben Meter. Sogar bis zu einem Meter kann sich der Wasserspiegel heben, wenn zusätzlich noch der Südwind große Wassermassen in die Lagune schiebt. Dann sind sogar Markusplatz und umliegende Gassen überflutet! Die Touristen drängen sich auf Stegen, sich aneinander klammernd über den Platz, und die Stadt-Polizisten stehen in Wathosen im knietiefen Lagunenwasser vor dem Dogenpalast und versuchen, den wogenden Touristrom auf den erhöhten Gehwegen zu dirigieren. Auch das tun sie, die Italiener. Hier wäre allerdings Baden extrem unerwünscht, aber:
An der Südspitze der Insel San Erasmo erstreckt sich eine langgezogene Flachwasserzone mit Strand – genau gegenüber dem „Porto di Lido“, der auch für die Großschifffahrt geeigneten Lagunenzufahrt. Wenn die Flut kommt „parken“ – also ankern – unzählige Sportboote im knie- bis po-tiefen Wasser auf diesem Flach zum Baden und zum Muschelsuchen im Schlick fürs abendliche Muschelrisotto. Gleich anschließend an diesen Strand, an der Westseite von San Erasmo, gibt es einen kostenlosen Anlegeplatz, der auch für Hausboote zum Übernachten geeignet ist. Ein Stück weiter drinnen im tiefen Fahrwasser ankern die Angler und hoffen auf die Seefische, die mit der Flut zum Fressen in die Lagune kommen.
Der Brenta-Kanal ist das nächste erklärte Ziel. Um dorthin zu gelangen befährt man entweder den breiten Canale della Giudecca, vorbei an der Kulisse von San Marco, und wundert sich nicht, dass inmitten dem hier üblichen Bootsgetümmel plötzlich ein 15-stöckiges „Hochhaus“ vorbeigeschoben wird! Dann läuft grade eines der großen Kreuzfahrtschiffe ein oder aus, das am Kreuzfahrtterminal bei Torcello Station macht. Dieser Kanal ist gleichzeitig das Fahrwasser für die Großschifffahrt. Viel ruhiger und verkehrsärmer ist das Fahrwasser entlang der Südseite von La Giudecca – vorbei an alten Villen und einigen Werften. Kurz vor dem Kreuzfahrtterminal liegt noch die MS Carinthia VII, mit 320 Fuß Länge derzeit die Nummer 13 der weltgrößten Superyachten, ursprünglich gebaut für Heidi Horten auf der Hamburger Lürssen-Werft. Sie hatte definitiv keinen Platz mehr am Anleger bei San Marko bekommen... Hier teilt sich die Fahrrinne. Der südwestliche Canale di Fusina führt quer über die offene Lagune zum gleichnamigen Ort am Festland. Nur die Dalben kennzeichnen das Fahrwasser – ohne sie würde das Boot sofort im Schlick stecken.
Unmittelbar vor Fusina wird noch solch ein Hochhaus von Süd nach Nord an uns vorbeigeschoben: Diesmal ist es ein megagroßer Tanker, den zwei Schlepper bis zu Industriehafen und Raffinerie bei Mestre bugsieren. Dann passieren wir die Bootstankstelle und laufen in den Brentakanal ein. An Steuerbord türmen sich an Land geparkte Sportboote, die von den Eignern am Wochenende mit den vielen Kränen ins Wasser gelassen werden.
Und dann ist Ende der Bootsfahrt. Die Schleuse von Moranzani ist geschlossen – Montags immer! Wie auch manch andere Brücke im Revier – Infos stehen im Revierführer, wenn man/n ihn denn aufmerksam lesen würde... Dafür gibt es zu essen in der einfachen Trattoria gleich nebenan und einen idyllischen Anlegeplatz unmittelbar vor dem Schleusentor. Dieses öffnet am kommenden Morgen pünktlich zum Dienstbeginn für die erste Schleusung am Tag - für uns und ein weiteres Hausboot, dessen Kapitän das arme Boot gleich mal quer in die Schleusenkammer legt und dessen Crew ein wenig hektisch wird. Kapitän, Boot und laut diskutierende Crew entlocken dem Schleusenwärter einen hilfesuchenden Blick zum Himmel ... täglich wiederkehrender Anblick – Hafenkino, oder Harbour-TV heißt das bei den Seglern.
Entlang des Brenta-Kanals stehen mehr als 40 Villen der betuchten venezianischen Familien, die sich früher von ihren Stadtresidenzen hierher zur „Sommerfrische“ rudern ließen. Teilweise ähneln die Villen eher kleinen Königsschlössern. Eine der ersten – und gleichzeitig eine der schönsten Villen ganz Italiens – ist die „Villa Foscari la Moncontenta“, nur eine knappe Bootsstunde bergauf. Der Landsitz erhebt sich mächtig inmitten des umgebenden Parks. Die unfreundlich erhobenen 10 Euro Eintrittsgeld pro Besucher sind der Crew einfach zu teuer. Somit wird ein Teil des Geldes – 4 Euro 40 genau gesagt – vor der Schlossmauer bei einem fliegenden Fischhändler für zwei frisch gefangene Lagunen-Aale verwendet. Daraus entsteht wenig später eine geniale Aalsuppe mit Gemüseeinlage.
In der Lagune – zurück von der etwas misslungenen, aber landschaftlich bezaubernden Sightseeing-Tour – beginnt eine lange Fahrt im schnurgeraden Tiefwasser-„Canale Malamocco – Marghera“ und dann weiter auf dem „Canale di S. Antonio“ bis nach Chioggia, dem südlichsten Punkt der Hausboottour. Dieses Städtchen, auch Klein-Venedig genannt wegen der vielen Kanäle, welche die Altstadt durchziehen, lebt vom Fischfang und beherbergt die zweitgrößte Fischfangflotte Italiens. Für das Hausboot gibt es drei reservierte Liegeplätze. Hier muss man rückwärts zwischen die Dalben einrangieren und vorn und achtern die Leinen belegen. Rückwärts bockt das Hausboot schon ein wenig und es lässt sich nur unwillig in die Box manövrieren – und der nachmittägliche Seitenwind macht es nicht leichter. Dafür aber verhindert die umlaufende schwere Gummikante ein Schrabbern des Rumpfes an den Holzpfosten. Der vorabendliche Rundgang im Ort eröffnet überraschende Lichtspiele, wenn die tiefstehende Abendsonne zwischen engen Häusern hindurch auf die Fischkutter blinzelt. Wie üblich ist auf der Hauptstraße jede Menge los: Flanierende Pärchen, Leute in den vielen Kneipen, spielende Kinder, und ... Autos! Denn die Hauptstraße ist keine Fußgängerzone, sondern hier wird gemischt genutzt! In der zweiten Reihe findet sich ein preis-attraktives und schön gelegenes Ristorante direkt an einem der Kanäle. Ein Akkordeonspieler quält sein verstimmtes Instrument wonniglich mit fehlerhaftem Fingersatz, seine Frau kümmert sich um Bares bei den Restaurantgästen, die sichtlich froh sind, als die beiden weiterziehen und zur nächsten musikalischen Tat schreiten. Den krönenden Absacker schließlich gibt es in einer gemütlichen Wein-Bar, die genau gegenüber dem Liegeplatz wie für die Crew geschaffen ist – der kurzen Wege wegen.
Entlang der unendlich schmalen, dafür umso längeren Insel Pellestrina führt die weitere Route gen Norden. Sie trennt, nicht zuletzt wegen der darauf befindlichen meterhohen und –breiten Schutzmauer die Lagune vor der offenen Adria. Kilometerlange Sandstrände gibt es auf der Seeseite, unbewohnte Teile am Binnenufer. Dazwischen Gemüsefelder und einige kleine, verschlafene Dörfer mit Anlegemöglichkeiten für Boote, Yachten, und für die eigentümlichen Fischerboote der Einheimischen. An deren Bug ragt eine Art mechanischer Rechen samt Transportsystem empor, mit dem der Lagunenschlick auf der Suche nach Muscheln umgegraben wird – immer wieder, denn die Erträge werden von Mal zu Mal geringer.
Eine ganze Reihe von kleinen Inseln liegt weitläufig verstreut in der Lagune. Oft wurde einfach der Aushub bei den Kanal-Baggerarbeiten aufgetürmt und das Areal mit einer Mauer gegen Abtragung gesichert. Manche wurden in alter Zeit als Festung, Lazarett, Quarantänestation, Kloster oder zur Landwirtschaft verwendet. Heute sind einige gänzlich verwaist, gesperrt, oder zum 5-Sterne Luxushotel umgebaut, wie das ehemalige Krankenhaus auf dem Eiland San Clemente. Nur einige wenige dürfen angelaufen werden. Wer sich zuvor anmeldet kann am Hotel San Clemente festmachen und die Bordfrau im kleinen Schwarzen dort zum Sternedinner führen.
Venedig selbst mit Dogenpalast, Seufzerbrücke, die grade renoviert wird, Markusplatz und Campanile kann nicht direkt mit dem Hausboot angelaufen werden. Auch der berühmte „Canale Grande“ ist Off-Limits. Beide Verbote sind auch völlig einsehbar, denn wer sich mit dem Boot schon mal für das „Beweisfoto“ in die Nähe von San Marco begibt wird vom hektischen Schiffsverkehr und dem damit einher gehenden chaotischen Kabbelwasserschwell schnell die Nase voll haben und das Weite suchen. Dafür bieten sich in der näheren Umgebung drei Marinas an, in denen das Boot sicher liegt, so dass die Crew mit dem Vaporetto, dem überall verkehrenden Wasserbus, in das Stadtzentrum fahren kann. Dort herrscht der krasse Gegensatz zur Ruhe der Lagunenfahrt: Unmengen von Besuchern schieben sich durch schmale Gassen zwischen Rialto und San Marco, Japaner brauchen unbedingt die Muss-Fotos „Liebste vor Seufzerbrücke“ und „Liebste mit Taube auf dem Kopf“, Reisegruppen samt vielsprachiger Fremdenführer drängen sich am Markusplatz und Tauben schwirren im Tiefflug über die Touristenköpfe. Wer sich zur Beruhigung in eines der Cafehäuser mit Livemusik(!) rund um den Markusplatz setzt, um sich das wabernde Gewimmel mit etwas Abstand zu betrachten, bemerkt spätestens an der Rechnung, dass er statt Kaffee locker mehrere Maschinenstunden mit dem Boot durch die ruhige Lagunenlandschaft hätte tuckern können. Also besser das Boot in der Marina auf der nahen Insel Certosa, der Marina St. Elena oder dem Yachthafen von S. Giorgio Maggiore parken und mit öffentlichen Verkehrsmitteln das Zentrum besuchen.
Die Klosterinsel S. Giorgio besticht durch seine einzigartige Lage: Genau gegenüber des Dogenpalastes! Diese Logenlage in der Marina der „Compania della Vela San Giorgio“ kostet leider ein paar Euro mehr an Liegegebühren – so ca. 40 bis 70 Euro sind schon mal drin - je nach Bootsgröße und Saisonzeit. Dafür bekommt der Besucher zusätzlich noch die Möglichkeit, auf den 70 Meter hohen Glockenturm zu steigen für den grandiosen Rundumblick über Venedig und die Lagune. Und in der riesigen Klosterkirche sind Kunstwerke von Tintoretto, Sebastiano Ricci, Jacobo Bassano und Carpaccio zu bestaunen. Mit dem Vaporetto dauert es nur 5 Minuten bis hinüber ins Getümmel.
Die Rückreise sollte nicht auf demselben Weg erfolgen, sondern quer durch die flachen und weit verzweigten Salzwiesen der nördlichen Lagune. In diesem Vogelschutzgebiet tummeln sich verschiedene Reiher- und Mövenarten, Strandläufer, Zugvögel machen hier Station und stundenlang begegnet man keinem anderen Boot. Die Venezianer geben diese Route als speziellen Tipp weiter.
Eine Mittagspause gibt es bei einem Ankermanöver im nur zwei Meter tiefen Wasser. Frischer Salat am Tisch, Vino Rosso dazu, danach ein wohltuendes Bad – am Nachmittag führt die Route zum „Canale Casson“, dessen Zufahrt beim Städtchen Cavallino definitiv nur bei Hochwasser passierbar ist! Ein paar Pricken sollen wohl die Passage markieren, aber mangels Beschriftung ist der Skipper hier ausnahmsweise mal ratlos, gibt Gas, schlingert durch den weichen Schlick und hinterlässt eine schwarze Modderspur im Kielwasser. Danach ist es ratsam den Kühlwasserfilter zu kontrollieren und klebrige Schlickreste und Pflanzenteile zu entfernen.
An der „Conca grande di Cavallino“ der letzten Schleuse, endet die Lagunentour. Es geht zurück in den Fluss Sile und somit ganz moderat bergwärts. An Steuerbord bleiben die vielen Yachthäfen und Marinas für Yachten fast jeder Größe in der Mündung des Sile liegen. Das künstlich gebaute Flussbett führt um die Nord-Lagune herum, um diese nicht versanden zu lassen. An den beiden Klappbrücken im Zentrum von Jesolo empfängt uns ein mürrischer Brückenwärter 50 Minuten nach unserem Telefonanruf – 15 Minuten hatte er avisiert. Dann erst schieben sich die Fahrbahnen nach oben und lassen das Hausboot passieren. Auch so sind sie mal, die Italiener.
Nach einigen weiteren Stunden Flussfahrt schließt sich der Kreis der Lagunenfahrt im Ort Portegrandi. Von hier aus mäandert der baumgesäumte Sile durch die oberitalienische Ebene. Etliche Windungen und Flussbiegungen später wird die Zufahrt zur Charterbasis passiert und 10 Minuten später wird festgemacht am öffentlichen Anleger im Zentrum von Casier. Wiederum in der zweiten Reihe ist bald ein „Ristorante-Pizzeria“ gefunden und eine Pizza Grande geordert. Sie entpuppt sich als leckeres, aber übergroßes 44-Zentimeter-Ungetüm für grade mal schlappe 8 Euro! Nach deren Verzehr benötigt der Skipper noch unbedingt einen Absacker in Form von Bier. Fündig wird man in einer Bar, in deren Vorgarten ein Jazztrio hervorragend aufspielt! Die Crew hatte in diesem Provinzort keine Musiker erwartet, die mit einem Wolfgang Schmidt (b), Billy Cobham (dr), oder Al di Meola (git) mithalten können. Somit wird der letzte Abend noch zum kulinarischen und musikalischen Hochgenuss. Auch das können Sie, die Italiener.
Schließlich sind es am kommenden Morgen nur Minuten, um die Charterbasis zu erreichen. Dort sind gut 20 Hausboote zwischen 10 und 15 Metern Länge für kleine und große Crews stationiert. Es gibt Werkstätten, Dusche und Geschäfte in der Nähe. Der Auscheck verläuft ebenso problemlos und schnell wie der Eincheck. Knapp 30 Motorstunden werden pauschal abgerechnet, der Müll entsorgt, das Gepäck im gleich daneben parkenden Auto verstaut und schon knapp eine Stunde nach Rückkehr sitzt die Crew im Wagen und ist auf der Heimreise. So schnell und entspannt klappt´s bei Charteryachten nie! Somit war nicht nur die Lagunenfahrt, sondern auch der Abschluss des Trips absolut stressfrei.
Das schwimmende Heim auf Zeit, das Hausboot, ist einfach zu bedienen und verfügt über alle notwendige Ausstattung: Der Motor startet sofort und bullert dann vor sich hin, die Schaltung ist leichtgängig und die Drehzahl, und damit die Bootsgeschwindigkeit, ist feinfühlig zu justieren. Gelenkt wird entweder vom Innensteuerstand oder - nach Umlegen eines Hebels - von der Flybridge aus. Von hier, vom ersten Stock des Bootes, bietet sich ein fahrtwindgekühlter Rundum-Ausblick für Skipper und Crew. Auf 12 Meter Länge und knapp 4 Meter Breite gibt es zwei komfortable Doppelkabinen mit Klimaanlage, zwei Bäder mit Dusche und WC, eine großzügige Pantry und einen geräumigen Salon mit einer zum weiteren Bett umbaubaren Sitzgruppe, und mit Schiebetüren zum etwas schmal geratenen Achterschiff mit Sitzbank. Insgesamt 4 bzw. 6 Gäste haben auf diesem Hausboot genügend Platz – für 2 Personen ist es sensationell großzügig an Bord, für 4 optimal, für 6 Passagiere ... naja... für ne Familie vielleicht...?!
Die Pantry besticht mit einem 4-Flammen-Gasherd mit Backrohr, einem sehr gut kühlenden elektrischen Kühlschrank und sogar einem Mikrowellenherd, der zur Überraschung aller mit 12 Volt, also ohne Landstromanschluss, betrieben wird! Der Heißwasserboiler speist sich aus 800 Litern Wasservorrat, was auch für Warm- und Langduscher einige Tage ausreicht. Auch die 600 Liter Diesel reichen für 2 Wochen aus. Sollte es dennoch knapp werden: In den Marinas entlang der Strecke kann immer mal nachgebunkert werden. Am Steuerstand sucht der Hochseesegler vergeblich nach einem Echolot, denn die zum Befahren mit dem Hausboot verfügbaren Kanäle sind alle tief genug für die 100 Zentimeter Tiefgang.
Die Crew kann zurückschauend sagen, dass sie eine wirklich entspannende Boots-Urlaubswoche mit allen Sinnen genießen konnte und dass sie gleichzeitig jede Menge zu sehen bekam. Und das alles ohne lästiges Aus- und Einpacken der Koffer und ohne Reisen von Hotel zu Hotel. Die Landschaft, die Menschen und die Erlebnisse kamen praktisch ganz von selbst – sie wurden er-fahren in einem Tempo, bei dem der Geist den Eindrücken folgen konnte.
Managern, Müttern, Hektikern und gestressten Ärzten ist solch eine Fahrt auf und mit einem Hausboot zum Entschleunigen – zum „Runterkommen“ – wärmstens empfohlen. Da bleiben Alltag und Hektik schnell im blubbernden Kielwasser und werden ganz ganz klein.
Übrigens: Eines findet man auf dem Hausboot nicht: Einen Geschwindigkeitsmesser... Wozu auch?!
Schon im Vorfeld hatte es umfangreiches Infomaterial mit Karten, Routenempfehlungen, dem Kapitäns-Handbuch und Anreiseplan zur Basis gegeben. Unkompliziert, kompetent und schnell.
Taverne „La Tana dei Golosi“ – Via Vittorio 46 – in Casale sul Sile
Megapizza: „Pizzeria Anema & Core – La Perla“ – Via Prinzipale 89 – Casier
Marina Certosa: www.ventodivenezia.it
Brückenwärter in Jesolo: +39 0421 -359790 oder -359292
Lesenswert, mit vielen Insidertipps und Informationen – gehört bei dieser Tour mit an Bord: Lagunengeheimnisse, Band 2, von Günter Lengnink, www.virtualstore.de